Mut

Von Stefanie Rieger, www.denken-und-staunen.de

Gastbeitrag für das Transformatorenwerk Leipzig anlässlich des Philosophischen SALONlines am 27. Januar 2021

Mutig wie ein Löwe sein. Wie das starke Raubtier mit dem dicken Fell und, wenn männlich, der großen Mähne. Das brüllend laute Geräusche von sich gibt und als König der Tiere gilt. Das goldene Tier der Steppe, dem man nur ehrfürchtig begegnen kann. Das ist das Bild, das Kindern in Märchen und Liedern vermittelt wird, wenn es um Mut geht. Aber sind Löwen wirklich mutig? Ist das das richtige Bild, um Mut zu vermitteln?

Was genau ist Mut eigentlich?

Sind es die Eigenschaften des Löwen, die Stärke ausdrücken? Kraft und Macht? Ist es seine Überlegenheit durch ohnehin biologische Vorteile? Sein Trieb, der ihn zum Jagen bringt? Wohl nicht.

Kann man es Mut nennen, wenn keine Konsequenzen der Handlung zu erwarten sind? Oder man ihnen ausweichen kann?

Haben wir nur Mut, wenn er sich in uns deutlich zeigt? Wenn wir beherzt handeln, wozu wir fähig sind? Wenn wir Mut brauchen und sonst nie? Ist Mut wie Freiheit nur an seinen Rändern sichtbar? Oder endet Mut mit der Sicherheit einer Routine?

Sprachgeschichtlich gilt Mut als starker Wille. So starker Wille, dass er uns schwere Bürden ertragen lässt.

Wir kennen viele Begriffe im Deutschen mit der Endung -mut:
Wir empfinden Schwermut, wenn wir traurig sind.
Großmut nennen wir es, wenn wir jemandem verzeihen können.
Sanftmut ist, wenn wir von Rachsucht und Jähzorn absehen.
Langmut zeigen Geduldige.
Wankelmut ist Unentschlossenheit.
Übermut macht uns leichtfertig.
Freimut lässt uns offen sprechen.
Hochmut als Arroganz zeigt sich gegensätzlich zur Demut.

Und sie beschreiben alle unser Gemüt, also unsere emotionale Verfassung.
Ist Mut also ein Gefühl und ein Charakterzug – und nichts weiter?

Gibt es Mut ohne Angst? Müssen wir durch sie erst in die Lage geraten mutig sein zu können? Also müssen wir uns nicht ängstigen, um Mut beweisen zu können? In welchen Situationen beweist man Mut und wann ist man gerade mutlos?

Welche Erfahrung habe ich mit “Mut”?

Nun. Als Sozialarbeiterin, die viele Jahre in psychiatrischen Einrichtungen und Einrichtungen der Suchthilfe gearbeitet hat, wurde ich oft als “mutig” bezeichnet. Zu groß schien die Gefahr im Beruf, um nicht täglich nur vom Mut gezogen zu werden.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich mutig war. Vielmehr sehe ich die Gefahr, die andere assoziieren, schlicht nicht oder nicht in gleichem Ausmaß. Mut ist nicht wie mir zu-mut-e war. Ich war eher guten Mutes, dass ich etwas Sinnvolles tue.

Als mutig betrachtet werden aber es nicht sein, würde das bedeuten.
Mut läßt sich aber meiner Meinung nach nicht von aussen sehen. Mut ist ein innerer Prozess. Es ist eine intuitive Auseinandersetzung mit sich selbst und den inneren oder äußeren Blockaden.

Betrachten wir ein Beispiel:

Wir stehen vor einer schmalen, alten Hängebrücke aus Holz. Bevor ich die unsichere Brücke betrete, stellen sich mir wie automatisch Gefahren vor und ich wäge sie mit den Sicherheiten ab.
Was ist, wenn die Brücke einbricht? Wie tief kann ich fallen? Lohnt es die Mühe? Bin ich nicht vielmehr dumm, wenn ich sie überquere? Was wartet auf mich auf der anderen Seite? Sieht ihr Holz morsch aus?
Nein, die Gefahren scheinen überschaubar und es wird nichts passiert, sage ich mir. Vielleicht doch. Aber ich muss es wagen!
Es fordert mich. Die Gedanken geraten durcheinander. Es bringt mich in einen Ausnahmezustand, mich zu überwinden.
Ich habe einen Entschluss gefasst und ich setze ihn um. Meine Begleiter*innen sehen dabei nur, ob ich handle oder nicht.

Mut scheint eine Handlungs-motivation zu sein, die nicht vor sich her treibt wie die Angst, sondern zu etwas hin zieht. Mut lässt streben und drängt nicht. Mut ist Bewegung, ist Antrieb. Im Mut bin ich willens Hürden zu überwinden, Kämpfe auszufechten. Aber braucht Mut eine widerständige Energie oder ist sie es am Ende selbst?

Mut hat “richtiges” Handeln zur Folge, was auch immer dem Mutigen als richtig erscheint. Mut ist nie sinnlos, denn sie bringt Werte zum Vorschein und deckt Prioritäten auf. Mit dem Mut zeigt sich unsere Person. Mut ist ein Einstehen für das, was von uns als gut empfunden wird.

Mut braucht auch Vertrauen in eine Zukunft, die durch einen mutigen Akt besser wird als die Gegenwart. Mut ist Zuversicht auf Erfolg. In Mut steckt Hoffnung und …Glück.
Wenn der mutige Akt aber erfolglos ist, trübt das den Mut nicht, den es brauchte. Es reicht also, wenn die Aussicht auf Konsequenzen besteht, wenn es auch nur vermeintlich einen Grund für Angst gibt.

Mut heißt sich der Angst zu stellen, sei sie berechtigt oder nicht. Ob die Angst dabei durch die Umstände gerechtfertigt ist oder nicht, ist dabei zweitrangig.
Ich muss nur fähig sein, etwas dagegen zu tun. Und Mut kostet eine Überwindung, er ist mehr als eine natürliche Neigung.

Bin ich als Philosophin mutig, wenn ich mich an einem Mittwoch Abend im Januar vor meine Laptopkamera setze und einigen fremden Personen über Mut erzähle? Ist man mutig zu sprechen, wenn man ohnehin voller Worte ist?
Macht mich meine Befürchtung schlechter Kritik doch mutig?

Was ist, wenn wir Mut in anderen ahnen?

Es geht eine Magie vom Mut aus, ein Zauber, der ihm Trittbrettfahrer schafft. Der Mut Anderer ist ermutigend, er ist eine Geste des Aufbruchs und Fortschritts. Das zeigen Geschichten aus der Vergangenheit.
Johanna von Orléans stellte sich den Feinden und bewegte hinter sich die Massen. Als Jugendliche.
Martin Luther King Jr. rief ausdrücklich zum Mut auf, er wühlte auf und legte den Mut unter der Wut frei.
Sophie Scholl erhob ihre Stimme und bezahlte mit ihrem Leben.

Mut zeigt sich als natürlicher Instinkt gegen die Angst, der Fortschritt, Entwicklung und Arterhalt erst möglich macht. Ohne Mut kein überlegter Schritt nach Draußen. Keine geplante Handlung zum Neuen hin.

Mut wird verherrlicht, wird zum Sinnbild des Lebens selbst. Wenn Soldaten mutig in den Krieg ziehen, dann manchmal für den Mut allein, für den sie gefeiert werden.

Es braucht Mut, Wahrheit auszuhalten, wenn sie bedeutet, gewohnte Muster aufzugeben. Oder bestimmte Gedankenstrukturen. Mut kann Kulturen aufbrechen.

Mit Mut kann man lernen, bis man ihn nicht mehr braucht. Nach dem ersten Schritt wächst die Trittsicherheit.

Mut sich zu zeigen, sich der Welt zu stellen ist unabdingbar für die Entfaltung der eigenen Person. Mutproben unter Gleichgesinnten formen die Persönlichkeit.
Bin ich aber mutlos, bin ich vom Leben erschöpft.

Welche Aussagen finden wir in der Philosophie zum Begriff Mut:

Immanuel Kant meinte in Anlehnung an Horaz: Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Braucht es also Mut vernünftig zu sein? Vielleicht in einer Welt, in der es andere nicht sind? Oder es den anderen zumindest zugeschrieben wird?

Aristoteles und Platon sehen Mut als Tugend, Tollkühnheit ist dabei ihr gegenüber. Ein ungesundes Übermaß an Mut, wenn man so will.

Doch auch gesellschaftspolitisch spielt Mut eine erhebliche Rolle:

Mut ist unbequem für ein gewohntes System. Er ist aufrührerisch und emanzipierend. Mut ist pure Demokratie, sie braucht Durchsetzungswillen, weil vielleicht niemand sonst wagt seine Stimme zu erheben, er oder sie selbst zu sein. Man muss eine Zumutung sein wollen.
Wäre die Mauer gefallen, hätte es keinen Mut im Volk gegeben?

Ohne Mut gäbe es keinen zivilen Ungehorsam, keine Richtungsweisung in politischer Sicht. Aus den Regeln auszubrechen braucht eine besondere Kraft und eine besondere Besonnenheit.

Nur mit Mut gelingt ein Auflehnen gegen Gruppenzwang und Unterdrückung. Mut ist Kraft gegen Kraftlosigkeit.

Mut braucht Gefahr und wird ungemütlich, sonst wäre sie bequem. Aber Mut hat mit Vertrauen das Wagnis gemein. Ja, vielleicht ist es genau Vertrauen, dass man braucht, um den Mut zu fassen etwas bestimmtes zu tun?

Welche Mutigen haben wir heute?

Ist die Kapitänin Carola Rackete mutig, wenn sie sich gegen die Gesetze von Ländern stellt, um Flüchtlingen eine sichere Obhut zu stellen?

Ist Edward Snowden mutig, wenn er die Regierung seines Landes an sein Volk verrät?

Ist der russische Dissident Alexei Nawalny mutig, wenn er nach Russland zurückkehrt, nachdem er wie vermutet wird von Regierungsvertretern vergiftet wurde?

Sind Krankenpfleger*innen und Behandler*innen auf CoViD-Stationen mutig, wenn sie trotz Infektionsgefahr ihren Beruf ausüben?

Oder sind es vielmehr die Demonstrant*innen gegen die Corona-Maßnahmen, die als Ausdruck ihres Unmuts gegen Regierungsbeschlüsse ihre Stimme erheben?

Sind Anhänger*innen Trumps mutig, wenn sie das Capitol in Washington stürmen?

Wer entscheidet über Recht und Unrecht? Über Terror und Fortschritt? Über Mut haben und nicht haben?

Der Löwe jedenfalls steht hier wie Luther und kann nicht anders. Er folgt seiner Natur, seinem Instinkt. Er ist getrieben und denkt nicht. Er wägt keine Gefahren ab und besiegt Ängste, sondern jagt. Er hat keinen Mut. Zumindest vermuten wir es nicht.

Herzlichen Dank!

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